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Nach den viel beachteten Aufführungen der Hölderlin-Filme von Harald Bergmannnn mit Walter Schmidinger, Otto Sander und Udo Samel Ende Juli 2014 und dem Film mit Live-Konzert im KulturRaum Zwinglikirche setzen wir die Reihe fort mit einem von Harald Bergmann geleiteten Hölderlin Sprachkonzert/Lesung zu Hölderlins Gesängen "Patmos", "Der Einzige", "Germanien" und "Andenken", mit den Starschauspielerinnen Angela Winkler, Corinna Kirchhoff, Christine Oesterlein.
In seiner Spät-Dichtung trägt Hölderlin den Konflikt zwischen zwei fast unvereinbaren Polen aus, der christlichen Weltsicht und der antiken Weltwahrnehmung. Speziell in dem Gedicht "Der Einzige" versucht Hölderlin, diesen Gegensatz aufzulösen und Christus, Herkules und Dionysos als gleichberechtigte Brüder nebeneinander zu stellen. In diesem Text gibt Hölderlin im Gedicht das Gedicht auf und erklärt diesen Versuch für gescheitert. In dem Gedicht "Patmos" gelingt ihm dann eine 15 strophige visionäre Reise zur Insel Patmos und der Figur des Johannes, der dort in der Höhle die Vision der Apokalypse mitschreibt. Aber auch dieses Gedicht wird später (ebenso wie das berühmte Gedicht "Brot und Wein") wieder eingerissen, und in einer radikalen Weise neu überarbeitet.Worin besteht überhaupt die Passion, die Menschen heute veranlasst, sich mit Hölderlins Werk lebenslang auseinanderzusetzen? Der zum Abschluß der Hölderlin-Arbeit entstandene Dokumentarfilm ist die Einführung in Hölderlins Welt: Der Hölderlin-Herausgeber D. E. Sattler entziffert die Handschriften, der Philosoph Heinz Wismann vergleicht das Hölderlin-Lesen mit dem Gleiten eines Segelfliegers, der Hirnforscher Detlef B. Linke untersucht die Zyste in Hölderlins Kopf, der Komponist Heinz Holliger denkt über Hölderlin als Musiker nach und Walter Schmidinger, an den wir hier erinnern möchten, der Grandseigneur unter Deutschlands Rezitatoren, liest „Andenken”.
Der Film zeigt die erste Lebenshälfte des Dichters bis zu seinem gewaltsamen Abtransport im Herbst 1806. Filmischen Auseinandersetzungen mit dem Thema „Hölderlin” geht es zumeist darum, den Mythos vom Dichter, der an seiner tragischen Liebe und der Kunst wahnsinnig wird, aufzubereiten. Im Gegensatz dazu wird in diesem Film versucht, die berühmten späten Arbeiten des Dichters, die Texte und Entwürfe aus dem Homburger Folioheft, die er bis kurz vor seinem Abtransport in die Klinik schrieb, vorzustellen. Sie werden zugleich der Rezeption, der Einschätzung durch Freunde, Zeitgenossen, der Literaturszene u. a. gegenüber gestellt. Die Dialoge, z.B. die Gespräche zwischen Goethe und Schiller über Hölderlin, sind wortwörtlich aus Briefen zitiert.
Scardanelli rekonstruiert aus allen verfügbaren Perspektiven die zweite Lebenshälfte des Dichters.
Hölderlin wurde nach seinem gewaltsamen Abtransport in einer Tübinger Klinik interniert und sieben Monate später, als unheilbar und mit einer Lebenserwartung von drei Jahren dem Schreinermeister Ernst Zimmer zur Pflege übergeben. In dessen Handwerkerhaus lebt der Dichter weitere 36 Jahre, betreut von der Tochter Lotte Zimmer in dem kleinen Turmzimmer am Neckar, klavierspielend, zeichnend, weiterdichtend. Als man ihm eine Ausgabe seiner früheren Gedichte bringt, bescheidet er den Besucher: »Ja, die Gedichte sind echt, die sind von mir, aber der Name ist gefälscht! Ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli!«
Mitten im Quartier Rudolfplatz steht seit 1908 die Zwingli-Kirche. Jahrelang nach dem Mauerbau 1961 nicht mehr kirchlich genutzt, schien sie zu schlafen. Ein paar Bürgerinnen und Bürger des Stadtteils gründeten 2007 den Verein KulturRaum Zwingli-Kirche e.V. und haben mit Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, politischen Hearings und Kino im Quartier die Kirche zu einem wichtigen kulturellen Ort im Kiez und darüber hinaus gemacht.
Hölderlins späte Gedichte und die Entwürfe im „Homburger Folioheft” gehören zu den radikalsten und spannendsten künstlerischen Vorgängen in der deutschen Sprache. Dass sich der Autor dabei am Ende gewissermaßen selber verloren hat, um als Entmündigter im Tübinger Turm zu keiner Auskunft über das Geschaffene mehr zur Verfügung zu stehen, hat diesem Vorgang noch eine besondere Brisanz verliehen und zur Legendenbildung beigetragen.
Die vier Hölderlin-Filme Harald Bergmanns (Lyrische Suite, Hölderlin Comics, Scardanelli sowie der einleitende Dokumentarfilm-Essay Passion Hölderlin) sind nun als Einzelbände und als Gesamtedition im Schuber erhältlich. Die Edition besteht aus 5 DVDs mit insgesamt 11 Stunden Film und 4 gebundenen Büchern mit fast 500 Seiten Film- und Hölderlin-Text. Jeder Band wird durch ein Film-Archiv ergänzt, das unveröffentlichte Szenen und weitere Hölderlin-Gedichte, die in die Kinofilme keinen Eingang gefunden haben, enthält.
Harald Bergmann, geboren 1963, lebt in Berlin. Literatur- und Philosophiestudium in München, Filmstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am California Institute of Arts in Los Angeles bei James Benning.
Harald Bergmann erhielt den „Hölderlin-Preis“ der Stadt und Universität Tübingen für die Filme der „Hölderlin Edition“. Sein Film „Brinkmanns Zorn“ wurde mit dem „Grimme-Preis“, dem „Innovationspreis der deutschen Filmkritik“ und dem „Preis der Autoren“ vom Verlag der Autoren ausgezeichnet.
Bio-/Filmographie und weitere Informationen unter
www.bergmannfilm.de